„Das glaube ich nicht“, war Marcel Scalises erste Reaktion, als Tim Hesse, Leiter F&E Laserapplikation bei TRUMPF, ihm von einer neuen Generation Schneiddüsen erzählte: der X-Blast-Düse. Mit dieser lasse sich die Maschinenverfügbarkeit erheblich erhöhen, indem der Abstand der Optik zum Werkstück verdoppelt wird, so das Versprechen. „Ich bin seit 20 Jahren in der Lasertechnik“, sagt Scalise, „aber das klang zu einfach. Denn eigentlich geht ein größerer Arbeitsabstand mit einem erheblichen Qualitätsverlust einher.“ Scalise ist stellvertretender Betriebsleiter bei Benteler Laser Application GmbH, die sich auf das Laserschneiden warmumgeformter Bauteile spezialisiert hat.
Das Düsenproblem
Jeder, der sein Geld mit Laserschneiden verdient, weiß: Schneiddüsen sind ein Verschleißteil. Das liegt daran, dass die Oberfläche der zu bearbeitenden Bauteile produktionsbedingt nicht hundertprozentig identisch ist. Da die Schneiddüse mit hohem Tempo in einem sehr geringen Abstand über das Bauteil jagt, kann es bei Abweichungen zu Berührungen oder sogar Kollisionen kommen. Das betrifft insbesondere kritische Stellen wie Kurven bei 3D-Geometrien. Die Düse ist dann meist nicht mehr brauchbar und muss ausgetauscht werden. Wenn es gut läuft, übersteht eine Düse etwa zwei Schichten.
Das Problem beschäftigt Scalise schon lange, aber eine sinnvolle Lösung ist ihm bisher nicht über den Weg gelaufen: „Theoretisch könnten wir den Arbeitsabstand vergrößern, wenn wir den Schneidgasdruck erhöhen. Das geht aber immer zu Lasten der Qualität.“ Wer verstehen will, warum sich der Betriebsleiter über dieses kleine Teil so den Kopf zerbricht, muss nur auf die Produktionsrealität bei Benteler schauen: Das Unternehmen produziert fast ausschließlich für die Automobilindustrie und die benötigt naturgemäß sehr hohe Stückzahlen – schnell und möglichst Kostengünstig. „Weniger als 100.000 Teile pro Jahr sind für uns selten“, verdeutlicht Scalise. Der Laser ist das einzig sinnvolle Werkzeug, um solche Stückzahlen warmumformter Bauteile wirtschaftlich zu bearbeiten.
Drei Schichten pro Tag, sieben Tage die Woche jagen die Laser der insgesamt 30 Schneidmaschinen von TRUMPF bei Benteler an den Standorten Paderborn und Siegen über die Bauteile, um dieses Pensum zu bewältigen. Weltweit setzt das Unternehmen 160 Lasermaschinen ein und es werden immer mehr: 2019 möchte Benteler die 200er Marke knacken. „Der Laser arbeitet wahnsinnig schnell und liefert eine Top-Qualität.“ Da kann das kleine Verschleißteil Schneiddüse schon nerven. Für jeden unvermeidlichen Düsenwechsel steht die Maschine genauso unvermeidlich bis zu einer halben Stunde still. Wertvolle Zeit. Vor allem in einem Massengeschäft, in dem um jede Sekunde gekämpft wird.
Auch wenn Scalise nicht an den Erfolg glaubte: Er war doch neugierig genug, die X-Blast-Düse zu testen. Sollte sie das Versprechen von TRUMPF halten, könnte Benteler immerhin erhebliche Kosten einsparen. Das Experiment gelingt: „Es stimmt alles“, sagt Scalise, während er eine Düse betrachtet, „und das ist unserer Rekordhalter. Sie war 273 Schichten im Einsatz.“ Das sind 91 Tage oder knapp drei Monate.
Was ist das Geheimnis? Äußerlich gleicht die neue X-Blast-Düse den herkömmlichen Düsen, das Know-how steckt im inneren. Tim Hesse, Leiter F&E Laserapplikation bei TRUMPF, erklärt: „Bisher ging es immer darum das Tempo über die Laserleistung zu steigern. Also mehr PS unter die Haube zu bringen, wenn man den Vergleich zum Auto zieht. Jetzt wollten wir noch das Fahrwerk so auslegen, dass die Geschwindigkeit bei jedem Untergrund gehalten werden kann“. Die Ingenieure tauchten also tief in die Strömungsdynamik der Düsen ein. Das Ergebnis ist ein Strömungsdesign, das den Schneidgasstrom auch bei einem größeren Abstand fokussiert hält. „Zur Düse liefern wir auch noch ein Softwarepaket mit den Schneiddaten.“
Die 273 Schichten waren aber nicht das einzige, was Scalise überraschte. „Ich hatte ja einen Kompromiss aus zusätzlichem Abstand und vernünftiger Qualität erwartet. Aber tatsächlich ist die Schneidqualität sogar noch besser. Früher mussten die Maschinenbediener immer wieder manuell nacharbeiten und Grate entfernen. Mit der X-Blast-Düse ist das nicht mehr notwendig – auch bei Geometrien, die schwer erreichbar sind.“ Nur eines bedauert er: „Wie lange diese Düse tatsächlich gehalten hätte, werden wir nie erfahren. Vielleicht wäre sie immer noch im Betrieb, wenn sie nicht ein kleiner Bedienfehler ausgeknockt hätte“.