Viele schwören darauf, Veränderungen Schritt für Schritt vorzunehmen, speziell wenn es um die Automatisierung und Digitalisierung von Fertigungsprozessen geht. Das sieht Tim Ungerer anders. Der Leiter Produktmanagement Blechtechnik der MERZ GmbH ist ein begeisterungsfähiger Macher und wenn er einmal einen Plan gefasst hat, zieht er ihn durch – auch wenn’s kurz mal weh tut. „Wer behauptet, die Einführung einer neuen Fertigungssteuerung sei einfach, sagt nicht die Wahrheit“, sagt er. „Alle Prozesse verändern sich. Wir mussten komplett umdenken. Aber nach sechs Monaten Zähne zusammenbeißen, stieg die Erfolgskurve von Woche zu Woche exponentiell an. Heute verarbeiten wir drei Mal mehr Blech am Tag als früher und das mit der Hälfte der Mannschaft. Die Mitarbeiter können sich endlich auch anderen Aufgaben widmen.“
15 Tonnen Blech im Dreischichtbetrieb
Die MERZ GmbH mit Sitz im baden-württembergischen Gaildorf ist ein führender Hersteller für mobile Stromverteiler, Prüf-, Anschluss- und Versorgungstechnik sowie Schaltgeräte. Seit 2005 gehört MERZ zur global agierenden PCE-Gruppe mit Sitz in Österreich. Zusammen mit den beiden Tochterunternehmen Merz Schaltgeräte GmbH & Co. KG und Moser Systemelektrik GmbH, hat sich MERZ mit einer breitgefächerten Produktpalette am Markt positioniert. Die hohe Fertigungstiefe erreicht MERZ nicht zuletzt durch die eigene Blechfertigung, in der unter anderem Gehäuse für die Stromverteiler produziert werden. Tim Ungerer ist verantwortlich für rund 110 Mitarbeiter, die im Dreischichtbetrieb täglich zwischen zehn und 15 Tonnen Dünnblech verarbeiten. Eine hohe Teilevarianz bei Stückzahlen von eins bis 1.000 sowie ein hoher Termindruck sind für ihn Alltag. Seine Kunden sind nicht nur Kollegen aus den unterschiedlichsten Bereichen des eigenen Unternehmens, sondern auch externe, die MERZ als Jobshop bedient. „Um dieses Pensum zu bewältigen, muss in der Fertigung alles rund laufen und das tat es bis vor ein paar Jahren nicht“, erzählt Ungerer und ergänzt. „Da haben wir pro Tag nur drei Tonnen Blech verarbeitet und waren von Transparenz weit entfernt.“ Ungerer ist klar: „Um unsere Blechfertigung zukunftsfähig zu machen, waren umfassende Automatisierungs- und Digitalisierungsmaßnahmen zwingend notwendig.“
Automatisierung schafft Ordnung
Zur Planung des umfangreichen Projekts holt sich Ungerer Unterstützung von TRUMPF. „Sie haben mit geballter Kompetenz meine komplette Fertigung analysiert und mir ein wirklich tolles Konzept vorgelegt,“ erklärt er. Das und Ungerers Hartnäckigkeit überzeugen schließlich auch die PCE-Gesellschafter. 2017 investiert MERZ zunächst in mehrere automatisierte Laser- und Stanz-Kombimaschinen von TRUMPF. „Wir hatten bis dahin keine nennenswerte Automatisierung“, sagt Ungerer. „Ich hatte drei Gabelstaplerfahrer und drei bis vier Mitarbeiter, die fertige Teile von den Lasermaschinen entnommen haben. Es war nicht unbedingt chaotisch, aber geregelte Prozesse sehen anders aus.“ Die neuen Maschinen werden so in der Fertigungshalle aufgestellt, dass sie sich nachträglich an ein neues vollautomatisiertes STOPA-Lager mit 400 Stellplätzen anbinden lassen. Das folgt zwölf Monate später und begeistert Ungerer vom ersten Tag an: „Das Hochregallager war ein Meilenstein. Es macht uns viel flexibler. Wenn früher ein Mitarbeiter ausgefallen ist, war das eine echte organisatorische Herausforderung. Jetzt werden die Maschinen komplett mannlos mit Material versorgt. Unsere Produktion hat sich dadurch enorm beschleunigt und die Abläufe sind deutlich ruhiger geworden.“
Neue Software braucht starke Nerven
Das wünscht sich Tim Ungerer auch für alle anderen Prozesse in seiner Produktion. Mit der Einführung der Fertigungssteuerungssoftware Oseon von TRUMPF will er auch auf der Fläche geordnete Materialflüsse und effiziente, transparente Abläufe sicherstellen. MERZ arbeitet bis dato mit einem in die Jahre gekommenen ERP-System. Der Fertigungsprozess ist für Ungerer weitestgehend eine Blackbox, wie er zugibt: „Wo und auf welchem Stand ein Auftrag war und wo sich die Halbfertigteile jeweils befanden, ließ sich nicht so einfach feststellen. Auch wie lange ein Arbeitsschritt, also beispielsweise das Rüsten einer Maschine dauert, konnten wir nicht genau sagen. Alles in allem war die Situation für mich extrem unbefriedigend.“
Deshalb macht Ungerer auch mit Oseon keine halben Sachen. Sein Ziel ist ein nahtloser Material- und Informationsfluss entlang der gesamten Produktionskette. Er entscheidet sich daher für ein umfangreiches Paket – von der Arbeitsvorbereitung und Produktionsplanung über die automatisierte Programmierung von Aufträgen mit der Software TruTops Boost bis hin zur digitalen Meldung, dass ein Auftrag fertiggestellt ist. Jeder Arbeitsplatz ist mit Tablets ausgestattet und jeder Arbeitsschritt wird via App vom Anfang bis zum Ende registriert. „Der mobile Zugriff auf alle Informationen erleichtert allen Mitarbeitenden den Alltag. Und jederzeit auf Knopfdruck zu wissen, wo ein Auftrag steht und wann er fertiggestellt ist, ist ein Traum für jeden Produktionsleiter“, freut sich Ungerer.
Bis alles reibungslos funktioniert, wachsen ihm und seinen Mitarbeitern zwar das ein oder andere graue Haar, aber rückblickend, so Ungerer, habe es sich gelohnt. Die Abläufe seien transparenter geworden und durch Oseon habe er auch Flaschenhälse in seiner Fertigung aufgedeckt, die sie bisher ausgebremst haben. „Bei uns war das beispielsweise beim Biegen der Fall. Mit Oseon haben wir die Möglichkeit, sogenannte Biegepools zu verwalten. Dort sind alle Biegeaufträge gesammelt und ich kann jedem Bieger über mehrere Wochen hinweg Arbeitsvorräte zuweisen. Das macht diesen Arbeitsschritt viel planbarer.“ Begeistert ist Ungerer auch von der Menge an Informationen, die Oseon liefert: „Ich habe jederzeit den Überblick über die Maschinenverfügbarkeit und werde über Maschinenstillstände informiert. Das hilft mir, meine Fertigung kontinuierlich zu optimieren.“
Stillstand? Fehlanzeige!
Inzwischen ist etwas Ruhe eingekehrt in der Blechfertigung bei MERZ. „Vor meiner Produktionshalle habe ich zwar immer noch einen Parkplatz für die TRUMPF Spezialisten reserviert, aber mittlerweile kommen meine Mitarbeiter mit den neuen Abläufen und Programmen ganz gut zurecht und freuen sich, dass vieles einfacher und alles überschaubarer geworden ist“, erzählt Ungerer schmunzelnd. Abgeschreckt hat ihn die turbulente Einführung von Oseon keineswegs – im Gegenteil. „Mir ist klar, dass TRUMPF solche Projekte in der Regel in kleinen Schritten umsetzt. Dann läuft so eine Umstellung sicher ruhiger ab“, gibt Ungerer zu und fährt augenzwinkernd fort. „Aber wir sind eben Hardcore-User. Wir wollten das komplette Paket in ganz kurzer Zeit, und das war auch für TRUMPF eine neue Erfahrung.“