Wenn ich an eine Konferenz denke, fallen mir als erstes Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter in dunklen Anzügen und Kostümen ein. Lustig ist es selten und Interaktion gibt es allerhöchstens in den Fragerunden. Anders ist das, als ich am 8. April zum Auftakt der 1. AgileDays bei TRUMPF das firmeneigene Besucherzentrum in Ditzingen betrete. Hier trägt fast jeder der 180 Teilnehmer Jeans und T-Shirt. Auf den Namensschildern sind die Vornamen fett gedruckt, nicht die Nachnamen. Die Gäste dürfen sich Duzen. Schon vor dem offiziellen Start plaudern sie lautstark an der kunterbunten Candy-Bar bei Porridge und Cupcakes.
Aufforderung zum konstruktiven Regelbruch
Das Motto der zweitägigen AgileDays lautet „Selbstdisruption“. Zu den Referenten zählen TRUMPF Experten, Vertreter anderer Unternehmen und Forscher. Hier will ich herausfinden, was agiles Arbeiten bedeutet. Das Prinzip liest sich wie folgt: Unternehmen sollen wandlungsfähiger werden, Neues ausprobieren und den Kunden stärker einbeziehen. Denn heutzutage ist nicht mehr Geld, sondern Zeit der limitierende Wettbewerbsfaktor. Wer zu viel Zeit für die Planung eines Projekts aufwendet, muss damit rechnen, dass der Kunde abspringt. Hinzu kommt, dass das Umfeld durch den digitalen Wandel immer schneller und dynamischer wird. Klassische hierarchische Strukturen können das geforderte Tempo oft nicht leisten. Es gilt also, bestehende Arbeitsformen aufzubrechen und sich neu zu formieren. Das Stichwort heißt „Konstruktiver Regelbruch“.
Mit Lego die Scrum-Methode entdecken
Mein persönliches Programm habe ich mithilfe der Konferenz-App selbst erstellt. Weil ich Agile-Neuling bin, habe ich mich online für den Workshop „Scrum Lego City“ eingetragen. Hier sollen die Teilnehmer die Scrum-Methode kennenlernen, indem sie als Team eine Stadt aus Lego-Steinen planen und bauen. Das Konzept stammt aus der Softwareentwicklung und wird heute in den verschiedensten Branchen eingesetzt. Für unsere Lego-Stadt erhalten wir konkrete Vorgaben, zum Beispiel ein Schwimmbad mit Rutsche oder Infrastruktur für öffentliche Verkehrsmittel. Im „Backlog“ und im „Planning" beurteilen wir die Bauprojekte nach ihrer Komplexität und legen die Zeitschiene und die Verantwortlichkeiten fest. Im Sprint stürzen wir uns auf die bunten Legohaufen und bauen Schaukeln, Fahrradständer und Krankenhäuser. Bevor wir alles im nächsten Sprint wiederholen, werfen wir im „Review“ einen Blick auf die Ergebnisse und legen in der „Retro“ Optimierungsmaßnahmen fest. So kommen wir in weniger als einer Stunde zu einer perfekten Stadt.
Ob Agile funktioniert, hängt vom Team ab
Wie wichtig die Zusammenarbeit beim agilen Arbeiten ist, erfahre ich im Workshop „Agile Team-Setup“. So müssen in einem Team alle fachlichen und sozialen Kompetenzen vertreten sein, die das Projekt erfordert. Wir unterscheiden zwischen wissensorientierten, kommunikationsorientierten und handlungsorientierten Projektrollen. Der Mehrwert für das Unternehmen sei am größten, wenn jeder das tut, was ihn interessiert und was er gut kann, sagt Workshop-Leiter Robert Gies von 123 agile.
Agile heißt nicht, Traditionen aufzugeben
Dass agile Arbeitsformen nicht auf der grünen Wiese entstehen, lerne ich in der Panel-Diskussion mit Felix Staeritz von der Unternehmensberatung Factor 10 und Volker Nestle, Leiter des Bereichs Research Future Technology bei TRUMPF. So steht die deutsche Industrie oft für konservative Werte und einen hohen Qualitätsanspruch. Beides werde laut den Experten auch in Zukunft wichtig sein, jedoch nimmt der Markt dafür ab. Um das wachsende Lowcost-Segment zu erreichen, müsse ein kultureller Wandel stattfinden, so Nestle. Unternehmen sollten dabei keine Zeit mehr verlieren.
Agilität im Alltag
Voll getankt mit agilem Wissen kehre ich nach dem ersten Konferenz-Tag an meinen Arbeitsplatz zurück. Die Chancen der neuen Arbeitsform habe ich verstanden. Die Umsetzung im Alltag stelle ich mir schwierig vor, schließlich arbeite ich selten in großen Teams an komplizierten Projekten. Viele der agilen Prinzipien wie Neues ausprobieren, Stärken einbringen und Dinge anders machen nehme ich mir aber fest vor.